Kiel, April 2012 – Das Kieler Glücksspielgesetz bleibt. Die Opposition aus SPD, Grünen und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) sind mit ihren Showanträgen im Vorfeld der schleswig-holsteinischen Landtagswahl am 6. Mai gescheitert. Der Innen- und Rechtsausschuss muss sich nun mit diesen Anträgen beschäftigen, mit denen die Opposition eine Aufhebung des europarechtskonformen Gesetzes sowie einen Verzicht auf eine mögliche Lizenzvergabe vor der Landtagswahl verhindern wollte. Der Abschied von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) wurde dadurch getrübt, dass es dem SPD-Landeschef Ralf Stegner nicht um die Sache, sondern um billige Wahlkampfreden ging, wie FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki bemängelte. Selbst der grüne Fraktionschef Robert Habeck meinte „mit einem Seitenhieb auf den potenziellen Bündnispartner SPD“ (Die Welt), aus seiner Sicht hätte es dieser Aktuellen Stunde nicht bedurft.
CDU-Fraktionschef Johannes Callsen sagte, eine von SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig avisierte „Dänen-Ampel“ mit Grünen und SSW würde das Land zurückführen in eine Sackgasse mit weiter ausufernder Verschuldung. Beobachter kritisieren, dass Albig einen recht inhaltsarmen Wahlkampf betreibe, mit dem er bei niemandem anecken wolle. Auch ein gewisser Zickzackkurs in Sachfragen – wie beispielsweise beim Glücksspielgesetz – wird dem Kieler Oberbürgermeister vorgeworfen.
Die zwei Mäntel des Herrn Albig
Symptomatisch für diese Kritik ist die „Zwei-Mäntel-Anekdote“. Torsten Albig hat jedenfalls zwei Mäntel. Nein, es handelt sich nicht um einen Frühlings- und einen Wintermantel, den man je nach Witterung aus dem Schrank holt. Der Sozialdemokrat wählt seinen Mantel gemäß der jeweiligen politischen Opportunität. So sagte der Sozialdemokrat gegenüber dem Deutschlandradio: „Der Oberbürgermeister hat seinen Oberbürgermeistermantel an, da haben Sie völlig recht. Und dieser Mantel ist der Mantel, der trägt, bis ein anderer Mantel kommt. Und wenn der kommt im Sommer, dann werden wir uns das Glücksspielrecht anschauen und dann werden wir aus Schleswig-Holsteiner Sicht dafür sorgen, dass wir eine einheitliche Glücksspielebene in ganz Deutschland bekommen, dass es keinen Sonderweg gibt.“
An der Bibel orientiert sich der SPD-Spitzenkandidat, der nach dem 6. Mai 2012 gern dem CDU-Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen im Amt nachfolgen würde, offenbar nicht. Denn dort steht: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel“ (Jakobus 5.12). Oder ist es Ausweis einer Art gespaltenen Persönlichkeit, dass Albig als Kieler Oberbürgermeister die finanzielle Unterstützung der Kieler Woche durch das Unternehmen betfair durchaus willkommen heißt, als möglicher neuer Ministerpräsidenten die Uhren im Land, das längst ein europarechtskonformes Glücksspielgesetz auf den Weg gebracht hat, aber wieder zurück drehen will? Als möglicher Regierungschef würde Albig nämlich seine Meinung ändern und statt den Interessen der Kieler Bürger der Parteilinie folgen, die in dieser Frage nicht zuletzt durch seinen „Parteifreund“ Stegner, einem beim Wahlvolk eher unpopulären Hardliner, vorgegeben wird.
Grüne blamieren sich bei Debatte über Glücksspielstaatsvertrag
Doch auch die Grünen haben sich in der Debatte zum Glücksspielstaatsvertrag in dieser Woche nicht mit Ruhm bekleckert. So gab die finanzpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu: „Auch wir wissen, dass der Staatsvertrag (der übrigen 15 Bundesländer; A. L.) rechtlich auf wackeligen Füßen steht.“ Diese rechtlichen Zweifel sind durchaus begründet, wie Dr. Wulf Hambach und Maximilian Riege in den Time Law News der Kanzlei Hambach & Hambach Rechtsanwälte deutlich machen. So hat sich die EU-Kommission vom Entwurf eines Glücksspielstaatsvertrags (E 15) der 15 Bundesländer nicht beeindrucken lassen. Diplomatisch höflich und etwas verklausuliert lautet der Vorwurf der Kommission folgendermaßen: „Auf der Grundlage der von den deutschen Behörden zur Verfügung gestellten Informationen sind die Dienste der Kommission noch nicht in der Lage, das Ausmaß der identifizierten Probleme bzw. die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Maßnahme zu bewerten.“ Im Klartext: Wollen die 15 Bundesländer keine erneute juristische Schlappe riskieren, müssen sei bei ihrem Gesetzentwurf deutlich nachbessern.
Rechtsexperte Hambach hält fest, dass das Verbot von Online-Casinospielen und Online-Poker einen Verstoß gegen die europäischen Grundfreiheiten darstelle. Überdies sei das Verbot, dass auch in den zweiten Versuch einer neuen Glücksspielregelung übernommen wurde, nach deutschem Verfassungsrecht als nicht gerechtfertigter Eingriff in die Berufsfreiheit gemäß Art 12 GG zu werten, wie der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Professor Papier erst kürzlich in einem Gutachten zum GlüStV festgestellt habe.
Überdies hat selbst die Obama-Administration jüngst beschlossen, dass Online-Poker – in den USA mindestens so populär wie in Deutschland – nicht länger verboten werden solle. Somit ist der Startschuss auch endlich in den USA gefallen, um den riesigen Graumarkt durch strenge Lizenzierung in den Bundesstaaten in die Legalität zu überführen (vgl. http://www.bizjournals.com/baltimore…). Die neue Einsicht von Obama, selbst begeisterter Pokerspieler, korrespondiert mit dem Kurs von Kubicki und Arp, der auch einem klaren EU-Trend folgt, während Stegner und seine Dänen-Ampelkollegen nur leere Worthülsen zurücklassen und zunehmend realitätsfremd wirken. Statt Union und FDP Einzelgänger-Mentalität vorzuwerfen, würde schon der Blick ins benachbarte Dänemark genügen, um sich mit einem modernen Glücksspielgesetz vertraut zu machen.
Die grüne „Finanzexpertin“ Heinold wischte aber auch die ihr wohlbekannten rechtlichen Bedenken gegen E 15 mit der Formulierung vom Tisch, „alles ist besser, als dass sich unser Land zum Sammelbecken für die Glücksspielindustrie entwickelt, als dass Schleswig-Holstein mit seinem Alleingang dazu beiträgt, dass der 15 Länder Staatsvertrag scheitert, ja scheitern muss, weil Schleswig-Holstein die Kohärenz im Bundesgebiet durchbricht“. Heinold beendete ihren polemischen Wortbeitrag mit dem Hinweis, das Land haben schon genug „unter dieser schwarz-gelben Regierung gelitten“. Einziger Gewinner sei die Glücksspielindustrie, die von der christlich-liberalen Koalition „einen Freibrief zum Gelddrucken erhalten“ habe. Die „Finanzexpertin“ verlor kein Wort darüber, dass sich Schleswig-Holstein im Vergleich zu E 15 auf Daten und Belege berufen kann, weshalb die Antwort aus Brüssel vor gut einem Jahr zum Kieler Entwurf auch so knapp wie abschließend positiv ausgefallen war. Sollte E 15 scheitern, so liegt dies also nicht an Kiel, sondern an der Uneinsichtigkeit der übrigen Ministerpräsidenten.
Ideologie statt Rechtssicherheit für die Wirtschaft
Bedenklich erscheint außerdem, dass SPD, Grüne und SSW einen ganzen Wirtschaftszweig kriminalisieren. Wer investieren will, Steuern und Abgaben zahlen und Arbeitsplätze schaffen möchte, der benötigt Rechtssicherheit. Auch der Kampf gegen die Lizenzvergabe schadet letztlich dem Land. Denn an die Vergabe von Lizenzen sind beispielsweise Sponsoringverträge für Sportvereine gebunden.
Wolfgang Kubickis (FDP) spöttische Bemerkung, wonach der SPD-Mann Stegner eine „ungewöhnliche, teils geradezu bizarre Rechtsauffassung“ vertrete, was ihm als Politologe verziehen sei, dürfte auch auf Lars Harms vom SSW zutreffen. Harms behauptete allen Ernstes: „Woran aber auch CDU und FDP nicht vorbeikommen, ist die Tatsache, dass die Mitteilung aus Brüssel (zu E 15; A. L.) eindeutig grünes Licht für den Ratifizierungsprozess ist.“ Wer so argumentiert, stellt die Welt auf den Kopf. Grünes Licht hat das Kieler Gesetz erhalten. Während die Ampel aus Brüssel in Bezug auf die Vorhaben der 15 Länder auf rot stand und immer noch nicht auf grün gesprungen ist. Auch der Verweis von Harms, dass nur der Entwurf des Staatsvertrags der 15 einen umfassenden Spielerschutz gewährleiste, ist – vorsichtig ausgedrückt – gewagt.
Wolfgang Kubicki hat in seiner Rede auf diesen Schwachpunkt in der Argumentation der Kieler Opposition hingewiesen: „Statt möglichst hohe Standards gegen Geldwäsche und beim Spielerschutz zu setzen und damit die Probleme zu bekämpfen, wollen die anderen Bundesländer durch die quantitative Beschränkung der Anzahl das Problem lösen. Das wäre in etwa so, wie wenn wir beschließen würden, dass wir die Qualität bei den Medizinberufen dadurch steigern wollen, dass wir die Zahl der Zulassungen bei Ärzten beschränken. Da fordern wir doch auch qualitative Hochschulabschlüsse und lassen nicht jeden selbst ernannten Medizinmann eine Lizenz erwerben.“
Das von Frau Heinold unterstellte Leiden der Menschen in Schleswig-Holstein unter ihrer christlich-liberalen Regierung zeigt sich unterdessen unter anderem daran, dass das Land bereits erste Steuern aus dem Glücksspiel eingenommen hat, wie das Hamburger Abendblatt berichtete.
Quelle: Andreas Schultheis || Text & Redaktion
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