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Laufzeitende für Glücksspielstaatsversagen
Ist die Rechtsstaatlichkeit im Glücksspielwesen nicht im Spiel?

Retrospektive und Betrachtungen von Rechtsanwalt Boris Hoeller

Legislative, Exekutive und Judikative. Das Zusammenspiel dieser Säulen, soll ihn garantieren, den Rechtsstaat. Im Grundgesetz heißt es dazu: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden“ (Artikel 20 Abs. 3) und darauf ist eine Ewigkeitsgarantie gegeben (Art. 79 Abs. 3), auch für den Bereich des Glücksspielwesens. Aber alles nur Theorie? Jenseits eines hinreichenden Ausmaßes öffentlicher Aufmerksamkeit folgt Akt auf Akt eines staatlichen Dramas der Rechtswidrigkeiten, das manchem den Glauben an die staatliche Integrität schon längst genommen hat. Bleibt zuletzt nur noch die Hoffnung auf ein gutes Ende?

Späte Besinnung auf das Recht

Der bisherige Paladin, Garant einer glücksspiel-staatsmonopolistisch-ordnungstreuen Rechtsprechung und Vorbild für die anderen stand Ende September 2011 plötzlich nicht mehr. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hatte sein Urteil gesprochen und plötzlich war alles anders. Die staatliche Flotte der Spielsuchtbekämpfung und Spieltriebkanalisation doch nur Piratenschiffe, die den Bürgern unter falscher Flagge das Geld aus der Tasche ziehen? Jahrelang hatte das OVG Münster seine schützende Hand über die behördliche Repression im Glücksspielwesen gehalten und trotz aller Aufschreie über die Offensichtlichkeit der Verstöße gegen höherrangiges und vorrangiges Recht einstweiligen Rechtsschutzbegehren den Erfolg versagt. Manchmal verfassungs- zumeist europarechtswidrig. Doch zuletzt wurde der Druck zu groß. Die europäische Urteilsserie aus Luxemburg zum Glücksspielstaatsvertrag und entsprechende Entscheidungen deutscher Revisionsgerichte zwangen zuletzt auch die Münsteraner Richter zur Besinnung. Und die erfolgte gründlich. Die Monopolregelung sei schon wegen der Werbepraxis der Monopolträger nicht geeignet, die Verwirklichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele zu erreichen. Die von der Glücksspielaufsicht geduldete multimediale „Jackpot-Werbung“, die Ankündigung von Sonderausschüttungen oder anderen höheren oder zusätzlichen Gewinnchancen, Kampagnen, die ein „Spenden durch Spielen“ beinhalten, den Spieltrieb anreizende Pressmitteilungen: Alles unzulässige Werbung und damit, so das oberste nordrhein-westfälische Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 29. September 2011 (Az.: 4 A 17/08), lägen auch nicht nur vereinzelte Vollzugsmängel vor, sondern es bestehe ein strukturelles Umsetzungsdefizit. Ein Paukenschlag, die verbliebenen zentralen Werbestrategien der Unternehmen des Deutschen Lotto- und Totoblocks – versehen mit dem Makel der gerichtlich festgestellten Rechtswidrigkeit.

„Nachtijall, ick hör dir trapsen“

Der Glücksspielstaatsvertrag. In weiten Zügen europarechtswidrig. Die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung – ausgefallen. Die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht – mangelhaft. Was war geschehen, wie konnte es dazu kommen? Ein kurzer Rückblick. Einnahmen aus dem Glücksspiel sind praktisch gestempeltes Geld. „Eine Steuer der excellenten Gattung, ….“ flüsterte Casanova schon dem Preußenkönig zu, „ …. denn sie wird freiwillig entrichtet„. Die Aussicht auf den großen Gewinn treibt die Bürger schon lange an – und an die Kasse. Beim Lotto, dem Publikumsliebling, kommen nur 50% der Einsätze in die Gewinnausschüttung. Der Rest verbleibt beim Staat und in der Veranstaltersphäre, den wahren Gewinnern des Lotto. Das funktioniert gut im Monopol. Doch als dieses zur Jahrtausendwende wankt, weil sich eine Umweltlotterie nach jahrelangem Kampf Genehmigungen erstritt und der Dorn im Auge vieler Lottofürsten, die Tätigkeit sog. gewerblicher Spielvermittler, sich höchstrichterlich als zulässig erwies, sah man sich im Zugzwang. Es galt, das Monopol und die Lotto-Gebietskartelle abzusichern, sowie die unbeliebten Privaten in die Schranken zu weisen. Geburtsstunde für den Lotteriestaatsvertrag (2004), der insbesondere das öffentliche Profitstreben aus dem Glücksspiel fundamentieren und „Einnahmegerechtigkeit“ unter den Landeslotterien herstellen sollte.
Die Idee blieb, auch nachdem sowohl Bundeskartellamt als auch das Bundesverfassungsgericht zentrale Normen der Ländereinigung für rechtswidrig erachteten (2006). Jetzt sollte es der Glücksspielstaatsvertrag leisten und zwar richtig. Suchtprävention und Spielerschutz als hehres Ziel und wohlfeiler Grund für faktische Berufsverbote. Internetveranstaltungs- und (mediales)-werbeverbot. Das Aus für Unternehmen, die ihre Spielvermittlungsdienstleistung über das Internet anbieten. Gewerbliche Spielvermittlung plötzlich unter Genehmigungsvorbehalt. 16 Genehmigungen, mit hohen Verwaltungsgebühren und teilweise irrationalen Erlaubnishürden. Eine ganze Branche mit scheinheiligen Gründen kriminalisiert und zum Untergang verdammt, nur wegen der schier unstillbaren Sucht der Ministerpräsidenten nach den Einnahmen aus dem Glücksspiel.
Der vordergründig auf Suchtprävention begründete Glücksspielstaatsvertrag wird geschlossen, die Länderparlamente auch auf die Mittel angewiesen und gleich welcher politischen Mehrheitscouleur, winken ihn durch. Ein neues Gesetz ist da (2007/2008).
Binnen kürzester Zeit werden alle staatlichen Veranstalter und ihre Mitglieder der Vertriebsorganisationen mit behördlichen Genehmigungen ausgestattet. Alles läuft programmgemäß. Alles? „Nachtijall, ick hör dir trapsen„. Während die staatliche Glücksspielaufsicht mit Untersagungsverfügungen konzentriert Sportwettvermittlern angreift und einzelne Landeslotterieunternehmen gegenüber privaten Dienstanbietern mit Lotteriebezug wettbewerbsrechtlich ins Felde zieht, müssen die Lottoumsätze gehalten werden. Jackpot hier, Jackpot da, publikumswirksam werden farben- und gestaltungsintensiv Millionengewinne und auch Sonderauslosungen angekündigt. Werbung mit unrichtiger, keiner oder zu kleinen Sucht- und Warnhinweisen auf Bussen und riesigen Bildschirmen in Bahnhöfen, im Internet, im Radio, in der Zeitung, stadtbildprägendes auf Plakaten, Litfaßsäulen und Werbeaufstellern und die spektakuläre Inszenierung der Ziehung der Lottozahlung über den Wolken. Saison- und feiertagsanlassbezogene Lotterien, solche „die Gutes tun“, können jetzt auch auf dem Lottospielschein oder im praktischen Mehrwochenschein gespielt werden. Die von der Glücksspielaufsicht formulierten Werberichtlinien lassen offenbar breite Werbekampagnen des Lottoblocks zu. Zwar beispielsweise ausdrücklich nicht die Werbung mit dem Aberglauben, aber dennoch, die Horoskop-Spielscheine und Astrolose bleiben im Angebot staatlich organisierten Glücksspiels. Minderjährige werden nicht hinreichend kontrolliert, kaufen Rubbellose, beteiligen sich am Glücksspiel. Süchtige, so sie denn gesperrt werden, bleiben trotzdem mit einfachen Umgehungsstrategien „am Ball“. Weitgehende Untätigkeit der staatlichen Glücksspielaufsicht gegenüber dem Lottoblock einerseits und eine bisher nicht dagewesene beispiellose Flut an lauterkeitsrechtlichen Gerichtsentscheidungen andererseits, ausgelöst durch die private Initiative. Befolgt werden aber nur vollstreckbare konkrete Entscheidungen, eine grundlegende Gesinnungsänderung lässt sich nicht ausmachen. „Mir san‘ mir“ – und das steht für Vollzugsdefizit. Bußgeldbewährte Ahndungen durch die Glücksspielaufsicht gegen die Lottofürsten wegen der zahlreichen Rechtsverstöße werden nicht bekannt, nur zur Verhängung von empfindlichen Ordnungsmitteln kommt es – nur durch die Zivilgerichtsbarkeit, nur auf Antrag des Wettbewerbs. Doch welchen Sanktionsgehalt hat das, wenn die staatliche Lotterieverwaltung einen sechsstelligen Betrag an das eigene Justizressort zahlt und die Zuwiderhandlung zuvor ein Vielfaches in die Kasse gespült hat? Und man wäre kein wahrer Lottofürst, wollte man den Spieß nicht umdrehen. Es könne nicht sein, dass „illegale“ Private die dem Gemeinwohl verpflichteten staatlichen Lottogesellschaften ihre Auslegung des Glücksspielstaatsvertrages aufzwängen, Private handelten vielmehr rechtsmissbräuchlich, wenn sie auf Einhaltung der Werberegeln klagten. Mehreren Gerichten gefiel diese Spielart. Aus der Klage gegen Werbeverstöße eine Anklage gegen den Kläger, den „Illegalen“ machen und die staatliche Lottogesellschaft vor der Feststellung der Rechtswidrigkeit ihres Tuns bewahren. Doch mehr als Zeit – gleichwohl ein hohes Gut – konnten die Lotteriegesellschaften damit nicht gewinnen. Der Bundesgerichtshof kennzeichnete im Sommer 2011 diese instanzgerichtliche Behandlung als fehlerhafte Rechtsanwendung. Doch der Schaden, der auf dem Rücken der Allgemeinheit entstanden ist, konnte dadurch nicht mehr abgewendet werden.
Weder die Urteile des Europäischen Gerichtshof zu den Defiziten im deutschen Glücksspielwesen, noch nachfolgende höchstrichterliche Entscheidungen deutscher Gerichte beeindrucken das deutsche Lotteriewesen, jedenfalls nicht nachhaltig. Die Glücksspielaufsicht „bittet“ bei den staatlichen Lotteriegesellschaften nur um Berücksichtigung der neuen Erkenntnisse aus den Urteilen, schreitet aber immer noch nicht ein. So bleibt es bei Slogans wie „Lotto hilft“, der „Lotterie, die Gutes tut“, dem prominenten Herausstellen von Höchst- und Sondergewinnen. Auch die Jackpotwerbung, mittlerweile vom OVG Münster konkret als rechtswidrig bezeichnet, wird – sogar teils mit überzogenen Höchstgewinnangaben – (multimedial) ebenso fortgeführt, wie die Live- Ziehung der Lottozahlen aus dem Maintower im TV. Auch die große Gewinne begleitenden Pressemitteilungen bleiben Mittel zur Gestaltung der Grundkonsumstimmung. Die Lotterie „Glücksrakete“ zum Jahresende, Rubbellos-Adventskalender und das „LOTTO SuperDING“ verheißen einen schönen Jahresausklang, sind aber rechtswidrig. Die staatliche Glücksspielaufsicht ausgelastet mit der Verfolgung Privater, greift wiederum nicht ein, trotz vieler Anmahnungen durch die Gerichte (jüngst OVG Münster, Beschl. v. 30.11.2011, Az.: 13 B 1331/11). Auch die mit staatlichen Mitteln ausgestatteten Verbraucherschutzverbände und Suchtorganisationen haben auf die offensichtlichen Rechtsverstößen keine Tätigkeit entfaltet – warum? Nachtigall, Du bist ertappt.

Ohnmacht oder außerordentliches Rechtsmittel?

Alles nichts – oder? Als gäbe es die geschilderten Defizite nicht, die Ministerpräsidenten machen einfach weiter. Daumen hoch für das Lotterie-Monopol und den daraus resultierenden Staatseinnahmen. Das sagt man zwar nicht mehr offen, das gefährdet das Monopol. Aus den Fehlern der Vergangenheit will man lernen, das Werberecht, die Achillesferse der alten Regelung, wird geändert. Man aktiviert eine alte abstrakte Formel für die Zulässigkeit der Werbung und lässt die Glücksspielaufsicht für den Lottoblock maßgeschneiderte Richtlinien entwerfen. Zur besseren Erreichung der Ziele soll Internetwerbung wieder erlaubt werden. Alles ein Widerspruch in sich, man verstrickt sich. Das bisherige Werbeverbot hatten die Blockgesellschaften ignoriert und übergangen. Es geht, getarnt als „Optimierung„, alleine um eine Legalisierung bisheriger Praktiken zur Einnahmesicherung. Wie auf diese Weise eine Verbesserung für die Zielerreichung erfolgen können soll, wird nicht erklärt, kann nicht erklärt werden. Die bisher demaskierenden Testkäufe mit Minderjährigen, Spielgesperrten und Schutzbedürftigen sollen ebenfalls erschwert werden. Denn die bisherigen Werbe- und Schutzregeln des Glücksspielstaatsvertrages haben genau das Gegenteil dessen bewirkt, was formal gesehen erreicht werden sollte, man wollte den Angriff auf sein Monopol abwehren, hat sich aber nur selber leicht angreifbar gemacht. Mit neuer Erkenntnis will man dem entgegenwirken. Bei den erdrosselnden Regeln für die Privaten soll es freilich bleiben. Man weiß: „Die Marktwirtschaft ist großer Mist, wenn man der Betroff’ne ist. Nur sein eig’nes Monopol tut dem Geschäftsmann richtig wohl“ (zitiert nach Prof. Querulix, (*1946), deutscher Aphoristiker und Satiriker).

Neuen Staatsvertrag unterzeichnen, durch die Parlamente bringen, und die Karten sind neu gemischt. Bis es zu beachtenswerten höchstrichterlichen Entscheidungen kommt, wird wieder viel Zeit vergehen, und bis dahin sind die Einnahmen wieder gesichert. Der Staat hat erst mal Recht, bis ihm schließlich ein anderes gesagt wird. Bürger und Unternehmen sind gegen das glücksspielaufsichtsrechtliche Benehmen nahezu machtlos. Wird das Gesetz konsequent gegen staatliche Veranstalter angewendet, werden die Gerichte übertriebener Entscheidungen bezichtigt. Das zeigt aber nur die Irrationalität und Inkonsistenz des Gesetzes auf. Die breite Masse versteht das ohne Kenntnis der Hintergründe nicht.
Ein Anspruch auf Einschreiten gibt es – folgt man allgemeinen verwaltungsrechtlichen Regelungen – bisher wohl nicht. Hilft da vielleicht eine das seit vielen Jahren bestehende Unwesen präzis beschreibende Bestandsaufnahme erst weiter? Staatliches Versagen, die Unfähigkeit die eigene Sucht nach Lottogeldern zu kontrollieren und massive Gesetzesverstöße seitens des Staates, bei sogar höchstrichterlich geklärter Rechtslage. Gibt es da wirklich kein außerordentliches Rechtsmittel, um das offensichtliche Vollzugsdefizit in einem Regelungsbereich zu beseitigen, in dem der Staat bei Erzielung großer Einnahmen unter massiven Grundrechtsbeschränkungen behauptet, nur er selber könne die Einhaltung von Recht und Gesetz sicherstellen, dies aber tatsächlich nicht tut? Denn da, wo das Rechtsstaatsprinzip nicht mehr funktioniert, gibt es noch eine grundgesetzliche Möglichkeit: Art. 20 Abs. 4, der lautet „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist„. Gerichtliche Schritte – das ist das primär probate Mittel – sollten und müssten also gegen das staatliche Glücksspielunwesen irgendwie – sei es im Wege der Rechtsfortbildung – für Abhilfe sorgen können. Sonst fehlt sie, die Rechtsstaatlichkeit im Glücksspielwesen. Und für den wirklichen Rechtsstaat müsste eigentlich gelten: Ganz oder gar nicht. Dafür sollten unsere Gerichte sorgen können.

Pik

Kontakt:
Hoeller Rechtsanwälte

Rechtsanwalt Boris Hoeller
Wittelsbacherring 1
53115 Bonn

Telefon: +49 228 90 820 0
Telefax: +49 228 90 820 999
E-Mail: kanzlei@hoeller.info
Internet: www.hoeller.info

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